Warum brauchen wir eine neue Lernkultur?


Mittlerweile dürfte sich wohl schon herum gesprochen haben, dass dieses Bild vom Lernen (angelehnt an den Nürnberger Trichter) ziemlich veraltet ist. Aber welche Vorstellung ist dann vorherrschend in unseren Köpfen? Ich fürchte, sie ist noch viel zu nah dran an diesem Bild.

Meistens verknüpfen wir Schule mit dem Lernen, dabei beginnt Lernen doch schon viel früher, spätestens bei der Geburt. Und mit dem Ende der Schulzeit ist das Lernen noch lange nicht beendet, ob man will oder nicht.

Wissen, theoretische Inhalte, werden auch gerne mit dem Begriff Lernen verknüpft. Doch was ist mit Können, mit Verstehen, und was ist mit sozialem Lernen, mit Soft Skills?

Unsere Lernkultur ähnelt noch viel zu stark diesem Bild: Lernen wird als etwas Passives gesehen, der Lernende als Konsument. Inhalte werden möglichst schön aufbereitet vermittelt. So scheint es uns am effizientesten. Wenn ich viel Stoff in kurzer Zeit vermitteln will, ist die Methode der Wahl Frontalunterricht. Alles was dabei nicht hängen bleibt, muss die Schülerschaft dann eben zu Hause kompensieren.

Dabei ist längst bekannt, dass das Gehirn aktiv verarbeiten muss, an was es sich erinnern soll. Um so intensiver man sich mit einem Thema beschäftigt, desto mehr Verknüpfungen entstehen, desto leichter und länger kann man es sich in Erinnerung rufen. Das gilt für theoretisches Wissen. Für Fertigkeiten, und damit auch für soziale Kompetenzen gilt: Üben, üben, üben. Anwenden, anwenden, anwenden. Das erfordert Zeit. Und Zeit ist genau das, was wir nie haben.

Möglichst viel in möglichst kurzer Zeit, das ist die Devise. Aber so findet kein nachhaltiges Lernen statt. So können keine Kompetenzen, und was noch wichtiger ist, keine Interessen, keine Persönlichkeit ausgebildet werden. Dafür ist es frustrierend. Für SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern.

„Ein Blick in die deutsche Sprache reicht, um einen Eindruck davon zu gewinnen, wie man über das Lernen denkt. Denn hier wird nicht nur gelernt, sondern gepaukt, gebüffelt, geochst, repetiert, Wissen eingebimst, eingebläut, durchgekaut, eingetrichtert oder sogar eingehämmert. Grundgütiger, Lernen muss offenbar grässlich sein.“ Das schreibt der Neurobiologe Henning Beck in seinem Buch Das neue Lernen heißt Verstehen.

Für meine beiden Kleinkinder, die in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit ständig neue Dinge lernen, ist es nichts grässliches, sondern etwas selbstverständliches. Der Große stellt mir jeden Tag gefühlt eine Million warum-Fragen, und der Kleine, nachdem er festgestellt hat, dass er dem Legomännchen den Helm ab- und wieder aufsetzen kann, übt erst mal eine viertel Stunde lang hochkonzentriert Helm ab- und wieder aufsetzen.

Wann verlieren Kinder ihre Begeisterung dafür, auszuprobieren, neues zu entdecken, neues Wissen zu erlangen, und vor allem, warum? Ich fürchte, es hat viel mit unserer Lernkultur zu tun. Lernen wird als Arbeit betrachtet, man muss sich bemühen, anstrengen, es ernst nehmen. Aber warum sollte Lernen nicht Spaß machen? Warum kann es nicht nebenbei stattfinden?

Wie oben schon erwähnt, wir können uns ja gar nicht dagegen wehren, dass wir ständig lernen. Die Frage ist aber, wie wird es gesehen und anerkannt. Momentan hört man ständig, dass viele SchülerInnen während des Lockdowns zu wenig gelernt hätten, und jetzt hinten dran seien. Ich bin mir aber sicher, dass sie sehr viel gelernt haben, was ich in diesem Alter nicht gelernt habe, weil ich damals keine Pandemie erlebt habe. Hoffentlich haben sie gelernt, selbständig zu lernen. Bestimmt haben sie so einiges über sich selbst gelernt, über ihre Familie, über die Gesellschaft. Vielleicht haben sie ihre Grenzen auf eine Art und Weise kennen gelernt, wie ich es ihnen eigentlich nicht wünschen würde. Aber sie haben, VERDAMMT NOCH MAL, etwas gelernt! Und für jeden wird etwas dabei sein, von dem er später einmal profitiert, so unangenehm die Lektion auch war. Ich fände es schön, wenn die Gesellschaft das auch anerkennen würde.

Anerkannt werden vor allem Inhalte, bestenfalls gibts noch einen netten Satz im Zeugnis zum Sozialverhalten. Aber letztendlich ist es ja dann doch egal, ob einer ein egoistischer Rüpel ist, solange er in Mathe, Deutsch etc. gut ist.

Wir leben im 21. Jahrhundert. Die Welt ändert sich rapide, ständig. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt, welche Berufe es in zwanzig Jahren überhaupt noch geben wird. Wie können wir unsere Kinder also besser auf die Zukunft vorbereiten, als ihnen die Fähigkeit zu geben, sich selbst weiterzuentwickeln, mit Schwierigkeiten umzugehen.

Unternehmen wünschen sich Auszubildende, die selbständig denken, neugierig, kontaktfreudig und konfliktfähig sind, und finden diese immer seltener. Anstatt über ihre Azubis zu jammern, sollten sich Betriebe überlegen, warum vielen jungen Menschen diese Fähigkeiten fehlen, aber vor allem, wie man diese ausbilden kann.

Wir wollen eine moderne Gesellschaft sein, die jeden gleich behandelt. Es wird im Moment viel über Diversität und Inklusion gesprochen, und ja, es ist höchste Zeit, dass wirklich ALLE Menschen unserer Gesellschaft am öffentlichen Leben teilhaben können und gesehen werden. Aber leider haben wir eine Lernkultur, die trennt. In Altersgruppen, Begabungsstufen (oder doch eher Gesellschaftsschichten?) und so fort. Es ist also doch nicht so weit her mit der Diversität, und über Inklusion in einem dreigliedrigen Schulsystem kann man doch eigentlich nur den Kopf schütteln.

Aber das wichtigste ist: Viel zu viele machen negative Erfahrungen oder leiden darunter, wie Lernen derzeit stattfindet. Nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene. Aber vor allem die Kinder, die dieses Leiden dann unter Umständen ihr Leben lang mit sich tragen. Ich bin es wirklich leid, das zu akzeptieren.

Manche dieser Kinder werden schließlich auf alternative Schulformen geschickt, was häufig ihre Rettung ist, und wodurch sie schließlich doch noch ihr Potenzial entfalten können. Doch viele haben diese Möglichkeit nicht, und so geht unserer Gesellschaft viel Potenzial einfach verloren.

Wie soll sie also aussehen, die neue Lernkultur?

Anstatt das Lernen von Anfang bis Ende durchzuplanen, sollten wir lieber Freiräume schaffen, zum entdecken, Fragen stellen, Fehler machen. Nur so können sie sich selbst kennen lernen, Neigungen und Talente entdecken und ihre Persönlichkeit entwickeln.

Natürlich brauchen Kinder auch Anregungen, und ein guter Lehrer oder Erzieher wird ein Gespür dafür entwickeln müssen, wann und wie viel diese angebracht sind, und wann man sie einfach mal machen lassen sollte. Das kann kein Lehrplan vorgeben, sondern muss im konkreten Moment entschieden werden.

Außerdem brauchen wir auch eine neue Fehlerkultur. Anstatt so viel wie möglich unter den Teppich zu kehren, sodass es einem dann irgendwann so richtig um die Ohren fliegt, sollten wir lieber einsehen, dass Fehler etwas normales und notwendiges sind, denn ein Lernen ohne Fehler gibt es nicht. Es ist wichtig, mit den Fehlern, die wir machen, umzugehen, auch und ganz besonders wenn es schwerwiegende Fehler sind.

Nicht zuletzt betrifft das Lernen natürlich alle Bereiche des Lebens, und das sollten wir anerkennen. Das heißt, die Schule sollte kein exklusiver Bereich sein, sondern sich für die Außenwelt öffnen. Und umgekehrt sollten auch andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens offener für Schulen und gemeinsame Projekte sein. Dazu gehören öffentliche Einrichtungen ebenso wie Unternehmen.

Umso mehr Berührungspunkte hier geschaffen werden, desto leichter wird es den jungen Erwachsenen schließlich fallen, sich im Berufsleben zu orientieren und in die Gemeinschaft einzubringen.

Um eine neue Lernkultur zu schaffen, müssen alle zusammenarbeiten, Schule, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Aber es werden auch alle davon profitieren, denn das Ergebnis werden noch mehr offene, neugierige, fähige junge Menschen sein, die etwas in der Welt bewirken wollen und können.

Dieser Text wurde inspiriert vom #wirfürschule Hackathon, insbesondere von meinen beiden Mitstreiterinnen Katja und Maria. Vielen Dank dafür!

Und hier gehts zum nächsten Beitrag: Ideen für eine neue Lernkultur


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