Letzte Woche habe ich ausführlich beschrieben, warum wir, meiner Meinung nach, eine neue Lernkultur brauchen. Da stellt sich natürlich die Frage, wie wir es besser machen können. Ich kann diese Frage natürlich nicht allein beantworten, denn zu einer Lernkultur gehört eine ganze Gesellschaft.
Zudem gibt es ja schon viele großartige Beispiele. Man kann ins Ausland schauen, zum Beispiel nach Kanada, Neuseeland, oder in die skandinavischen Länder. Es gibt aber auch in Deutschland tolle Schulen, die bereits eine andere Lernkultur leben.
Trotzdem möchte hier meine Idee einer besseren Lernkultur kurz vorstellen. Natürlich habe ich das alles nicht selbst erfunden, ich trage hier nur zusammen, was ich eben für gute Ideen halte. Dabei spielen auch die Rahmenbedingungen, also besonders das Schulsystem, eine große Rolle, da sie die Lernkultur maßgeblich bestimmen.
- Selbständiges, individuelles Lernen: Der/ die Lernende steht im Mittelpunkt des Lernprozesses. Er/ sie lernt weitgehend selbständig, Lehrer*innen sind dabei Lernbegleiter, das heißt, sie bieten Anregungen, beobachten und helfen nur wenn nötig, bzw. wenn Schüler*innen das wünschen. Die Lernenden entscheiden selbst, was sie wann wie lernen (wenn nötig mit Unterstützung). Inhalte können auf verschiedene Weise erarbeitet werden (z.B. digital, im Gespräch mit anderen, in Projektarbeiten). Das selbständige Lernen bringt viele Vorteile mit sich, zum Beispiel kann jede*r leichter seinen Bedürfnissen nachgehen (etwa Pause machen wenn er/ sie eine Pause braucht), man kann den Schultag sehr flexibel gestalten (individuelle Uhrzeiten) und es wäre sogar möglich, von einer Anwesenheitspflicht abzusehen und Schüler*innen auch das Lernen zu Hause zu ermöglichen. Dazu gehört auch
- keine zeitlichen Vorgaben zu machen (auf allen Ebenen) – keine 45-Minuten-Einheiten, Schüler*innen dürfen kommen und gehen wann sie möchten (evtl. in einem bestimmten Zeitfenster), und jede*r hat für das Erwerben der notwendigen Kompetenzen und Kenntnisse so lange Zeit wie er/ sie braucht
- kein Klassenverband bzw. keine Jahrgangsstufen, sondern altersgemischte, variable Lerngruppen
- Beschränkung des Lehrplans auf das absolut Notwendige: Der Lehrplan sollte vollkommen neu gedacht werden, in Hinblick auf folgende Fragen: Welche Kompetenzen, Fähigkeiten und Kenntnisse braucht JEDER, um die persönlichen, gesellschaftlichen und globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts meistern zu können und damit ein mündiges Mitglied unserer Gesellschaft zu werden? Welche Kompetenzen werden benötigt, um bestimmte Berufe erlernen zu können oder um studieren zu können? Dadurch sollen Freiräume entstehen, um individuelle Stärken und Interessen fördern und der Entwicklung von Persönlichkeiten Raum geben zu können.
- Keine Prüfungen und keine Noten, zumindest im allgemeinbildenden Schulwesen, da Prüfungen den Lernprozess stören und Noten die Motivation zerstören und außerdem wenig aussagekräftig sind. Die Lehrer*innen stellen durch Beobachten und im Gespräch den Lernstand der Schüler fest. Es gibt bereits Beispiele für eine Dokumentation des Lernstands mit digitaler Unterstützung. Zur Einstufung in das berufliche Ausbildungssystem bzw. zur Aufnahme an Hochschulen wäre ein schulunabhängiger zentraler Einstufungstest möglich (ähnlich wie der SAT in den USA). In allen Bildungseinrichtungen sollte eine neue Prüfungskultur entstehen, weg vom Bulimielernen, hin zum tatsächlichen Ergründen der Fähigkeiten eines Prüflings.
- Wir brauchen eine neue Fehlerkultur! Wir sollten Fehler als etwas normales betrachten, sogar etwas notwendiges für den Lernprozess. Allerdings ist es auch wichtig, produktiv mit Fehlern umzugehen! Das gilt nicht nur für die Fehler der Schüler*innen, sondern auch für die der Lehrenden und weiteren Betreuungspersonen.
- Die Schule sollte sich öffnen für Wirtschaft und Gesellschaft, und umgekehrt. Schule bildet die Bürger von morgen aus, wir erwarten von ihnen Mitarbeit und Mitgestaltung. Das wäre wesentlich einfacher wenn junge Menschen bereits in der Schulzeit diese Welt kennen lernen würden und diese auch mitgestalten. An manchen Stellen ist das bereits angedacht oder umgesetzt (Beispiel: P-Seminare an bayerischen Gymnasien), aber viel zu spärlich. Unternehmen würden davon profitieren, weil sie so Einfluss auf die Mitarbeiter von morgen haben, und die Öffentlichkeit, weil mehr junge Menschen sich für gesellschaftliche Belange interessieren und engagieren.
- Das Bildungssystem sollte sich für alle öffnen, nicht nur bestimmte Bereiche für bestimmte Gruppen. Zum Einen können auch Eltern teil des Schullebens sein, mehr eingebunden werden, am Lernprozess beteiligt werden. Aber auch andere können sowohl als Lehrende als auch als Lernende tätig werden (z.B. können Kinder viel von älteren Menschen lernen, können umgekehrt der älteren Generation neuere Dinge erklären oder zeigen, etwa den Umgang mit dem Tablet).
Zugegeben, das war jetzt alles ein bisschen abstrakt. Ich werde in den nächsten Wochen auf einige Punkte noch näher eingehen und diese konkretisieren. Hier wollte ich erst einmal einen Ausblick geben, was alles möglich sein könnte, wenn wir uns dafür öffnen, dass Lernen auch anders aussehen kann, als wir das kennen.